Selbstüberwindungstraining (12/2007)

Im Januar dieses Jahres wurde ich gefragt, ob ich am Härtetraining teilnehmen möchte. Dies erschien mir ein bißchen früh, da ich gerade erst wieder mit dem Training begonnen hatte. Ende des Jahres am Härtetraining teilzunehmen. Damit konnte ich leben, denn es waren ja noch 12 Monate bis dahin. Im Sommer waren es noch sechs Monate, etwas später noch drei Monate usw. Und plötzlich - siehe da - war nur noch eine Woche Zeit! Jetzt befiel auch mich ein ungutes Gefühl, denn unser Lehrer Dirk hatte am Montag das Härtetraining selbst durchgeführt. Seine Hände sprachen Bände! Und wie man hörte, musste das blutbesudelte Dojo danach geputzt werden! Aua! Ich fing an zu phantasieren - vielleicht werde ich ja noch von Terroristen entführt...oder Außerirdischen... Nichts dergleichen geschah. Zu allem Überfluss ließ er uns Freitagabend beim Training jeweils einmal vor das Brett schlagen. Scheiße, tat das weh! Wer bis jetzt nicht wußte, was auf ihn zukam, hatte in der folgenden Nacht genug Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Und hinter vorgehaltener Hand hat man gehört, dass die "Armen" nicht so gut geschlafen haben! Samstag, 15.12.2007 Der Tag beginnt mit einem Anruf vom "Chef": "Wollte dir nur freistellen, ob du zum Härtetraining kommen willst oder nicht. Wenn nicht, ist ja deine Entscheidung, auch gut." - Nicht gut, wie gemein, man wird vor die Wahl gestellt... oder auch nicht! Normales Samstagtraining 15:00 Uhr, natürlich nehmen die Delinquenten daran teil! Seine Freundlichkeit lässt es sich nicht nehmen, immer wieder auf die bevorstehende Sache hinzuweisen und trägt zur allgemeinen Belustigung schon mal die blutverschmierten Bretter hinein. Mir reicht es jetzt schon. Ich überlege wahrhaftig noch, wie ich ungesehen aus dem Dojo rauskomme. Leider nur eine Phantasterei, keine Terroristen, keine Außerirdischen! Bevor ich mich versehe, stehe ich Seiken. Vorher hatten wir eine kurze Unterweisung von Dirk. Gottseidank müssen wir nicht seine Leistung erbringen: 500 Kieswanne, 1.000 ans Brett. Aber dafür teilt er uns mit, dass wir ohne seine Hilfe (Schläge mit dem Stock) durch das Training gehen müssen. Ein nicht zu unterschätzender fehlender Baustein des Härtetrainings - gerade für mich, der ja nicht so hart zu sich selber sein kann! Also jeder für sich und so ist es dann auch: Ab den ersten Schlägen in die Kieswanne habe ich die Sicht für das Drumherum verloren, auch die zur Unterstützung laufende Housemusik erreicht mich erstmal nicht. Nach 200 Schlägen in die Wanne, die mir schon schwer fallen, geht es zum ersten Mal ans Brett. Wer es selber noch nicht gemacht hat, kennt ihn nicht, den dumpfen Schmerz! 200 ans Brett. Ich fange an, in kleinen Sätzen zu denken. Immer 25 Schläge, zweimal zehn, einmal fünf oder viermal fünf. Mit solchen Gedanken befasse ich mich, um von meinem Elend abzulenken. 200. Viermal 50 oder achtmal 25 oder 20mal 10, ich glaube, ich werde wahnsinnig! Ich wundere mich über mich selbst, dass ich die 200 erreiche. Teilweise recht gut, teilweise mehr schlecht als recht. Doch es bleibt eh keine Zeit für lange und ausführliche Gedanken. Dirk ordert mich zurück an die Kieswanne - 100. Wenn ich nicht so unter Strom stehen würde, ich würde heulen wie ein Schloßhund. Es reicht, die Schläge fallen mir sehr schwer. Ab und zu hilft Dirk mit ein paar Worten, dann geht es sogar etwas besser. 100, fertig! Vielleicht ist es ja für mich gelaufen? Nein, sein Blick deutet auf das Brett. Ich soll mich doch zusammenreißen und bedenken, dass ich auf "sein" blutverschmiertes Brett schlagen darf, eine Ehre! Zumindest für 20 Schläge hilft mir das weiter! Bei Schlag Nummer 30 sagt er mir, dass ich noch mal von vorne beginnen soll, und zwar bis 100. Willkürlich zurückgeworfen werden, so was konnte ich schon immer mit "Leichtigkeit" verkraften! Der Hass hilft mir weiter, ich schlage ein paar gute Dinger, sogar die Musik erreicht mich mal und hilft mir durch ein paar Schläge. Ich schlage mal mit Augen zu und Augen auf und denke wieder in Sätzen. Hin und wieder erschrecke ich moch sogar darüber, wie weit das Brett fliegt. Man bekommt Angst vor sich selber. Und dann endlich, 97, 98, 99, 100! Dirk sagt, das war es am Brett für mich, danke! Danke! Aber nochmal 100 in die Wanne! Jetzt bin ich auch für mich am Ende, die 100 fallen mir besonders schwer! Nochmal 10 richtig gute und der "Spaß" hat ein Ende. Ich verkrieche mich in eine Ecke des Dojos und gebe mich meinen Gefühlen hin. Die Fäuste, seit einer Stunde eng geschlossen, blutig und geschwollen, lassen sich nicht mehr öffnen. Was für ein Scheiß. Höllenschmerzen! Ich habe nun kurz Gelegenheit, Martin bei seiner Arbeit zuzusehen. Dann ist Ende für alle. Was das dem Einzelnen gebracht hat oder noch bringen wird, hat und wird jeder für sich selber erfahren. Solch eine Erfahrung muss auch "sacken". Nicht zu unterschätzen sind auch die folgenden Tage. Zumindest die ersten 2-3 Tage sind ein Höllenspaß. Ein normaler Tagesablauf ist mit aufgeschlagenen Händen kaum vorstellbar. Das geht los beim Zähneputzen, beim Greifen nach Kleingeld in der Hosentasche, Kochen oder "Züchtigen" seiner Frau, alles sehr, sehr schmerzhaft! Aber auch das vergeht und am Ende überwiegt das positive Gefühl, welches ich für mich daraus gewonnen habe und auch weiterhin daraus gewinnen werde. Beste Grüße, Oss, Boigk Guten Rutsch und ein gutes neues Jahr an alle Karateka und ihre Familien.