Kangeiko (02/2009)

Die Nachtaktiven. Über das Kangeiko im Februar 2009. Kangeiko, sagt zumindest mein Google, heisst so viel wie: Training in der kalten Jahreszeit. Der Name ist, aus meiner Sicht und bei allem Respekt, nicht ganz korrekt, denn er verschweigt die wichtigste Eigenschaft dieses Lehrgangs. Eigentlich müsste es heissen: Sehr, sehr, sehr frühes Training in der kalten Jahreszeit. Denn das Kangeiko beginnt morgens um 5 Uhr ( in Worten: fünf ). Das heisst, man steht gegen 4 Uhr ( in Worten: vier ) morgens auf. Und das alles freiwillig ( In Worten: freiwillig ). Wenn man, wie ich, dazu neigt, die von anerkannten Medizinern empfohlenen 7 bis 8 Stunden täglich zu schlafen, dann müsste man in dieser Woche jeden Abend gegen 20 Uhr ins Bett gehen. Das macht man natürlich nicht, weil die Freundin einem um kurz vor 20 Uhr sagt, dass man sie nicht alle hätte, wenn man so früh schlafen geht. Das sagt sie ab jetzt jeden Abend um die selbe Zeit. Man widerspricht nicht, weil sie Recht hat. Also schläft man jede Nacht zu wenig. Diese Woche lehrt mich, unter anderem, dass Schlaf ein völlig unterschätzter Wert ist. Mansur und ich haben verabredet, dass wir in der Kangeiko-Woche morgens zusammen zum Dojo fahren, da er in der Nachbarschaft wohnt. Nur weiss ich bis dato nicht genau, in welchem Haus. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich montags zum ersten Mal um halb Fünf morgens auf der stockfinsteren Vorgebirgstrasse stehe. Zehntausend Fenster, alle dunkel. Bis auf eins. Oss, Mansur. In dieser Woche geht es unter anderem darum, mit seinem Partner eine Kata zu üben. Und darum, ihn richtig kennen zu lernen. Das ist auch nicht als freundliche Empfehlung, sondern als Aufgabe gemeint. Mein Partner ist, glücklicherweise, Mansur. Glücklicherweise, weil er auf dem Karateweg beneidenswert weit ist und trotzdem ( oder gerade deshalb ? ) extrem viel Geduld mit meiner anfängerhaften Grobmotorik hat. Glücklicherweise, weil Mansur extrem filmverrückt ist. Glücklicherweise, weil ich das auch bin. Wann immer wir sprechen dürfen oder können, reden wir übers Kino. Wenn wir nicht gerade im tiefergelegten Teiken, dicht über dem morgendlich kalten, mit Streumaterial garnierten Bürgersteigasphalt schwebend, auf grünes Licht warten. Während des Trainings macht Dirk Stichproben und fragt zum Beispiel: Wieviele Katas kann Dein Partner eigentlich? Kalt erwischt. Weiss ich nicht. Hätte er mal nach Mansurs Lieblingsfilmen gefragt. Hat er aber nicht. Liegestützen. Jetzt in aller Kürze. Die Woche war wunderbar. Es hat unglaublich viel mehr Spass gemacht, als ich es mir vorher vorstellen konnte. Im Gegensatz zu den anderen, die tagsüber alle tapfer in Büros, Schulen, Kanzleien, Agenturen und anderen Jobs ihre Pflicht taten, hatte ich mir die Woche frei genommen. Und obwohl ich es daher am leichtesten hatte, bin ich nur zweimal zum regulären Abendtraining erschienen. Alle anderen waren, so viel ich weiss, jeden Abend im Dojo. Respekt. Apropos Respekt, diese Woche hat meine bereits reichlich vorhandene Achtung vor dem Karate und vor allen, die sich so intensiv damit beschäftigen wie jene, mit denen ich trainieren durfte, noch wachen lassen. Noch was. Der schönste Moment: Mittwoch, Ende des Trainings im Park. Wir stellen uns, wie jeden Morgen um diese Zeit, auf Dirks Bitte hin mit dem Blick auf den See auf, um kurz in uns zu kehren. Kaum hat man zweimal geatmet, sagt Dirk, wir sollten uns nun umdrehen. Und was sehen wir jetzt? Den dicken, fetten, morgendlichen Vollmond. Hammer. Noch nie sahst Du so schön aus, alter Mond, Du kannst echt was. Ich bin kurz davor, ihn anzuheulen. Der schlimmste Moment: Freitagmorgen, vor dem Training läuft im Dojo, von des Meisters Hand selbst aufgelegt und schön laut gedreht: The Eye Of The Tiger, einer der mit grossem Abstand schlimmsten Songs der Popgeschichte, ein Stück, das meiner Meinung schon längst in den Genfer Konventionen als Foltermethode klassifiziert sein sollte. Aber auch das überstehe ich ohne bleibende Schäden. Diese Woche hat mich ein kleines wenig härter oder gelassener gemacht. Oder beides.