Ein Leben mit Karate - Interview mit Dirk Degenhardt

Du hast mit 13 Jahren angefangen, Karate zu trainieren. Hat Karate Deinem Leben eine bestimmte Richtung gegeben?
Ich glaube, dass mein Lehrer, Harald Wego, mir eine bestimmte Richtung im Leben vorgegeben hat. Karate allein macht den Weg ja nicht aus, sondern entscheidend ist die Lehre, die dahinter steht. Mein Lehrer hat mich als Schüler sehr eng begleitet, auch im Privatleben. Seine Lehre war sehr prägnant. Viele seiner Gedanken habe ich übernommen und ohne diese Lehre und seine  Begleitung wäre ich bestimmt woanders gelandet.

Gab es in Deinem Leben Situationen, in denen Du an dem Weg des Karate gezweifelt hast?
Natürlich gab es Situationen, in denen ich am Karate bzw. an meiner Person gezweifelt habe und mich gefragt habe, ob ich überhaupt fähig bin, den Weg zu gehen, ob ich stark genug bin. Der Weg des Karate ist ja nicht kurz und auch nicht leicht.
Einen größeren Knacks gab es, als ich etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. Damals habe ich sehr intensiv trainiert, sieben Mal die Woche, täglich mehrere Stunden. Da blieb kein Raum für andere Dinge. Als junger Mensch muss man in so einer Situation zuviel beiseite drücken. Ich hatte viele Wünsche, viele Sehnsüchte, ich war noch nie in ein fernes Land gereist und ich war nicht in der Lage, mir die notwendigen Freiräume bei meinem Lehrer zu erkämpfen. Der einzige Ausweg schien mir, mit dem Karate aufzuhören. Ich dachte wirklich, es sei ein Schritt für immer. Ich habe alle meine Karateanzüge verschenkt, mit Ausnahme meines Gürtels und bin für mehrere Monate nach Asien gereist. Dort habe ich all die vermeintlich wichtigen Dinge gemacht, die ich meinte machen zu müssen. Ich habe nicht trainiert, habe zugenommen, mich gehen lassen, Party gemacht. Irgendwann habe ich dann wieder angefangen für mich zu trainieren. Nicht, weil ich zum Karate zurück wollte, sondern um wieder fit zu werden, klar zu werden. Ich habe damals viele Leute kennen gelernt, die alle Kampfkunst machten. Wir haben uns ein Dojo am Strand gebaut und dort trainiert. Dann erhielt ich eine email von einem Freund, der schrieb, dass mein Lehrer in Deutschland nach einem Dojo sucht. Da wurde mir klar, dass ich ohne Karate im Leben nicht glücklich werden würde. Ich habe zurück geschrieben: Wenn er ein Dojo sucht, dann baue ich das mit euch gemeinsam.  Das haben wir dann auch getan. Aber die Zeit in Asien war für mich ganz wichtig, um zu erkennen, dass ich ohne Karate nicht leben möchte.

Gibt es einen Meister, der Dich besonders beeindruckt?
Generell neige ich nicht dazu, die Meister zu glorifizieren. Meister Funakoshi beispielsweise ist für viele Karateka ein Vorbild und er hat auch wirklich eine Menge im Karate bewirkt. Aber als Mensch, vor allem im privaten Bereich sehe ich ihn sehr kritisch. Am ehesten ist Meister Matsumura Sokon für mich ein Vorbild, zum Beispiel mit der Aussage: Lehre durch dein Beispiel. Aber eigentlich versuche ich eher Vorbilder im täglichen Leben zu finden. Das kann vielleicht der Za-Zen Lehrer aus dem Robashin-Dojo in Solingen sein oder ältere Menschen, etwa mein Schwiegervater, der sagt, dass man Gutes immer im nahen Umfeld tun sollte. Wenn das alle täten, würde vieles besser funktionieren.

Trainierst Du für Dich? Wie bildest Du Dich fort?
Es gab Zeiten in meinem Leben, da habe ich täglich viele Stunden trainiert. Heute trainiere ich zwar täglich, aber ehrlich gesagt, fällt es mir schwer. Ich habe Kinder, eine Familie und genieße es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Die Kinder inspirieren mich auch wieder für das Karate. Ich denke, Karate geht ein Leben lang und ich bin sicher, dass es auch wieder Zeiten geben wird, in denen ich viele Stunden am Tag trainiere.
Was die Fortbildung im Karate betrifft, so bilde ich mich ständig fort. Durch Selbststudium oder indem ich Seminare besuche. Vor eineinhalb Jahren bin ich Schüler im Zen-Zentrum  Solingen bei Heinz-Jürgen Metzger geworden. Ich finde, Za-Zen ist dem Karate sehr zuträglich und inzwischen bieten wir es ja auch in unserem Dojo an. Außerdem mache ich gerade verschiedene Reiki-Grade. Dabei geht es um Heilung durch Energie. Ich  habe das Gefühl, im Reiki Dinge zu finden, von denen ich immer geglaubt habe, dass sie ein wichtiger Bestandteil des Karate sind. Viele Meister waren zugleich sehr versiert in Dingen der Medizin. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich Karate und Reiki irgendwann miteinander verbinde.
 
Hast Du einen Lebensgrundsatz, ein Motto?
Einer meiner wichtigsten Lebensgrundsätze ist, dass man im Leben all das wiederbekommt, was man gibt. Ob das im jetzigen Leben ist oder zu einer anderen Zeit, das muss einem gleichgültig sein.
Wann ist ein Tag für Dich ein guter Tag?
Wenn alle in meiner Familie gesund sind.

Wann gehst Du abends aus dem Dojo und hast das Gefühl, das war ein guter Tag?
Selten. Das Dojo begleitet mich immer nach Hause und häufig denke ich: Das war nicht gut, das war eine schlechte Stunde. Ganz oft habe ich aber auch das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Wenn ich an einige Ereignisse in der letzten Zeit denke, sei es das Sommercamp, ein Lehrgang oder die Weihnachtsfeier, dann sehe ich, dass sich da Freundschaften bilden, Beziehungen finden, dass da Menschen sind, die mir vertrauen und die mich unterstützen. Ich habe Schüler, sogar Wegschüler und keine Teilnehmer und das ist ein verdammt gutes Gefühl für eine so junge Schule.

Wenden sich Menschen dem Karate zu, die nach Regeln suchen, nach Werten, nach Halt?
Ich gehe die Frage anders an. Oft stehe ich mit großer Neugier im Dojo hinter der Theke und frage mich, wer heute zur Türe reinkommt. Und es ist immer so, dass jemand herein kommt, mit dem ich gar nicht gerechnet habe. Mal ist es ein Japaner, der knallhartes Karate sucht. Mal ist es eine Frau, die über sechzig ist und etwas machen möchte. Mal kommt ein fünfjähriges Kind, das das Gefühl hat, Karate lernen zu wollen und gar keine Vorstellung von Karate hat. Der eine kommt rein und sucht Regeln, der andere geistige Erfüllung, der nächste Breitensport und immer wieder lässt du Dich auf diese Leute ein, gibst ihnen Karate und ganz oft finden diese Menschen, was sie gesucht haben, gleichgültig mit welchen Vorstellungen sie gekommen sind.

Was treibt Dich an, was motiviert Dich?
Das frage ich mich manchmal auch. Die Freude am Karate, die Liebe zum Karate - es fällt mir schwer das zu beantworten. Karate hat für mich etwas ganz Subtiles. Irgendwann, ab einem gewissen Grad konnte ich mir ein Leben ohne Karate nicht mehr vorstellen. Ich habe immer das Gefühl, dass nicht nur meine Schüler mehr lernen können, sondern dass auch ich mich ständig auf dem Weg befinde. Dadurch fühle ich mich getrieben, neue Dinge in Erfahrung zu bringen, um als Lehrer etwas weitergeben zu können.

Ich nenne jetzt einige Stichworte und Du sagst bitte spontan und möglichst mit einem Satz, was Dir dazu einfällt:

Ehre
Ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Menschen - ein Mensch ohne Ehre hat keine Würde.

Selbstüberwindung
Kann ich sehr gut.

Willenskraft
Habe ich in gewissen Lebensbereichen sehr viel - manchmal bin ich auch schwach.

Grenzen
Sind da, um sie zu überwinden.

Energie
Hat man ohne Grenzen.

Toleranz
Fällt mir in meiner Beziehung oft schwer.

Angst
Habe ich sehr selten.

Bescheidenheit
Ein sehr interessanter Satz, den ich gelesen habe lautet: Bescheidenheit ist die höchste Form der Eitelkeit.

Selbstzweifel
Habe ich Gott sei Dank sehr selten.

Glück
Nur glückliche Menschen können andere Menschen glücklich machen.

Authentizität
Gibt es in unserer Gesellschaft nur selten. 

Mit Dirk Degenhardt sprach Susanna Dahs

 

[placeholder]